Teil I – Der Via Alpina Start: Von Vaduz nach Altdorf

Vom liechtensteinischen Hauptort Vaduz, wo der Fürst noch heute im Schloss hoch über dem Städtchen thront, startet die Via Alpina durchs Rheintal nach Sargans. Hier hingegen ist der Schlossherr längst ausgezogen. Nun führt der Weg ins lange Weisstannental, vorbei am Isengrind-Wasserfall, einem der höchsten Wasserfälle der Schweiz, und weiter über den Foo- und Richtelipass ins Glarnerland. Die beiden einsamen Übergänge führen durch eine wilde Bergregion und sind ein erster Via Alpina Wanderhöhepunkt. Imposant ist das UNESCO-Weltnaturerbe Tektonik Arena Sardona. Der Anblick der Hauptüberschiebung, die während der Gebirgsfaltung entstand, ermöglicht sowohl einen Einblick tief in die Erdgeschichte als auch einen Durchblick. Nämlich denjenigen durch das Martinsloch, durch welches die Sonne einmal im Frühling und einmal im Herbst die Strahlen exakt auf die Kirche von Elm schickt.

Vom Richtelipass folgt ein langer Abstieg in den Zigerschlitz, dem tiefsten Tal der Schweiz. Dieses verleiht dem Glarnerschabziger seinen Namen. Die «Stöckli» des würzigen Magerkäses sind vermutlich eines der ältesten Markenprodukte der Schweiz überhaupt. Mit einem Herkunftsstempel auf dem Käse konnte nämlich dem Anspruch der Qualität bereits vor mehr als 555 Jahren gerecht geworden werden. Um den Zigerschlitz wieder zu verlassen, sind Schweissperlen auf der Stirn kaum zu vermeiden. Schliesslich muss man das tiefste Tal auch wieder verlassen. Und das gelingt nur druch Anstrengung oder nötigenfalls mit Unterstützung. Die Standsteilbahn führt im Nu über die steile Talstufe nach Braunwald, von wo die Wanderung auf dem Höhenweg um einiges gemächlicher nach Urnerboden führt.

Die weite und sanfte Hochfläche des Urnerbodens wird von den schroffen Kalkzacken nach Norden und Süden begrenzt. Und wie es der Name sagt, gehört das Gebiet seit mehr als 700 Jahren zum Kanton Uri, obwohl der Klausenpass als Übergang vom Glarner- ins Urnerland den logischen Grenzverlauf darstellen würde. Der Sage nach soll je der beste Läufer der Urner und Glarner mit dem ersten Krähen des Hahns vom Tal her aufsteigen. Da, wo sich die beiden treffen, verläuft die Grenze. Offensichtlich war der Urner der bessere Athlet, aber vermutlich hat auch der Hahn im Kanton Uri um einiges früher zur Tagwache gekräht und so kam die Grenze «ennet der March», also auf der anderen Seite des Klausenpasses zu liegen.

Im Frühjahr kann es durchaus vorkommen, dass sich die Schneemassen auf dem Klausenpass noch meterhoch vom Strassenrand auftürmen und den Blick Richtung Zentralschweizer Alpen und Reusstal fast verdecken. Dahin führt nun die Via Alpina zur Wiege und Seele der Schweiz. In Altdorf thront der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell als Bronzestatue, mit geschulterter Armbrust und seinem Sohn Walter an der Seite, über dem Rathausplatz. Genauso wird er einst Widerstand gegen die habsburgische Obrigkeit geleistet und zur Gründung der Schweiz beigetragen haben. Tell ist wohl der berühmteste Urner, nicht aber der älteste. Dieses Prädikat trägt, der Föhn, der von Süden über den Gotthard einfällt und pfeifend durch das Reusstal Richtung Schweizer Mittelland bläst. Der Fallwind lässt selbst im Winter die Temperaturen kräftig ansteigen und leckt den Schnee von den Hängen.