Teil II – Das Via Alpina Herz: Von Altdorf nach Kandersteg

Über den Surenenpass führt die Route vom Kanton Uri nach Obwalden und Engelberg. Wer denkt, dass die Via Alpina eine neue Erfindung wäre, darf sich spätestens jetzt eines Besseren belehren lassen. Über den Surenenpass herrschte bereits in der Bronzezeit und Römerzeit, aber auch im Mittelalter reger Verkehr. Verschiedene Funde zeugen davon. Und 1799 war es sogar eine französische Division, die über den Pass die Österreicher im Reusstal überrascht und überfallen hat. Das alles ist aus heutiger Sicht erstaunlich, denn die mühevolle Etappe von Altdorf nach Engelberg ist die längste der gesamten Via Alpina überhaupt – gehört für uns aber auch zu den schönsten! Ein kleines Detail am Rande: auch hier gelang es den Urnern, die Grenze vom Pass weit Richtung Engelberg zu verschieben!

Engelberg ist die erste grosse, touristische Destination unterwegs mit Gästen aus aller Welt. Und dennoch überstrahlt eine Ruhe das Klosterdorf. Vielleicht ist es der Bann des Titlis oder das Gebet der Benediktinermönche, welche das hektische Treiben besänftigen. Dank den Bergbahnen kann der steile Aufstieg zum Jochpass wesentlich verkürzt werden. Auf der anderen Seite und bereits auf Berner Boden liegt in einer sanften Mulde des Gentals die idyllische Engstlenalp und der Engstlensee. Von oben könnte man denken, dass der Wurf eines Kieselsteins in das Wasser, den See gleich zum Überlaufen bringt.  Vorbei an der Schaukäserei und dem altehrwürdigen Hotel führt der Weg weiter durch prächtige Blumenwiesen zur Tannalp und über einen wunderschönen Panoramaweg nach Planplatten hoch über Meiringen.

Ein kurzer Abstecher zu den Reichenbachfällen lohnt sich nicht nur wegen der nostalgischen Zahnradbahn, die zum tosenden Wasserfall hochführt. An diesem Ort ht der Privatdetektiv Sherlock Holmes seinen letzten Kampf ausgetragen und stürzte tragischerweise über die Felsklippen in den Tod.

Die Grosse Scheidegg ist gewissermassen das Tor zur Jungfrauregion, das einen fantastischen Blick auf den messerscharfen Mittellegigrat öffnet. Dieser führt hoch zum Gipfel des Eigers und gehört neben der Eigernordwand, welche senkrecht über 2000 m gegen Grindelwald abfällt, zu den schwierigsten Routen am Berg. Daneben thronen Mönch und Jungfrau und es wird sofort klar, weshalb die Region zu den spektakulärsten Gebirgsgegenden der Welt zählt und daher ein begehrtes Reiseziel darstellt.

Die Via Alpina führt weiter über die Kleine Scheidegg nach Wengen, hinunter ins Lauterbrunnental mit seinen 72 Wasserfällen und hoch auf die Sonnenterrasse nach Mürren. Übrigens wird der Abschnitt zwischen Meiringen und Lenk auch Bärentrek genannt. Bären trifft man heute aber keine mehr an. Murmeltiere und mit Glück Gämsen und Steinböcke und vielleicht sogar ein stolz kreisender Adler schon.

Von Mürren schweift der Blick ein letztes Mal zurück zur königlichen Jungfrau. Dann müssen die Wanderschuhe fester geschnürt werden. Wie Himmelsleitern führt der Wanderweg im Zickzack hoch zu den beiden Übergängen Sefinafurgga und Hohtürli. Die Felsscharte des Hohtürlis ist mit 2778 m der höchste Punkt der Via Alpina und ein paar Extrameter hoch zur Blüemlisalphütte lohnen sich doppelt. Nicht nur wegen dem feinen Kuchen, sondern auch, weil die Blüemlisalp mit Gletscher und Gipfel zum Greifen nah sind.

Weit unten schimmert bereits der tiefblaue Oeschninensee, wohl einer der schönsten Bergseen der Alpen überhaupt, bevor der Belle Epoque Ort Kandersteg mit müden Beinen erreicht wird. Dieser galt Ende des 19. Jahrhunderts, während den Anfängen des Tourismus, zu den Zielen, die keinenfalls auf einer Schweiz-Reise fehlen durften. Die damaligen Touristen, vornehmlich Reisende aus England, haben massgebend zur Entwicklung der Schweiz beigetragen. Heute zeugt das altehrwürdige Belle Epoque Hotel Victoria noch von dieser Zeit.